.
Die klassische Schule hat, wie in der Wertlehre, auch in der Preistheorie die objektiven Grundlagen herausgearbeitet. Sie tat dies jedoch mit einer Einseitigkeit, welche die subjektiven Momente der Preisbildung unbeachtet ließ. Der Fortschritt, welchen die Grenznutzenlehre brachte, liegt vor allem in der eingehenden Untersuchung der subjektiven Momente der Preisbildung. Der Zusammenhang der Preisbildung mit der Bedürfnisbefriedigung und die Schichtung der Nachfrage wurden durch sie beleuchtet und der Mechanismus der Preisbildung als Ausschließungsvorgang der bei gegebener Marktlage nicht tauschfähigen Parteien eingehend zergliedert. Hiermit war einem empfindlichen Mangel abgeholfen, welcher der klassischen Preislehre anhaftet. Konnte nämlich diese nur eine Untersuchung des Angebotes dienen, so hat die Grenznutzenlehre dieser die Zergliederung der Nachfrage zur Seite gestellt.
Es ist ferner eine nicht zu unterschätzende Leistung der Grenznutzenlehre, dass sie der Ansicht entgegengetreten ist, als ob sich auf Grund der objektiv-technischen Bedingungen ein einzig möglicher Preis am Markte ergeben würde, und zeigte, dass die Preisbildung eine gewisse Elastizität besitzt, welche dem Preise zwischen den Preisgrenzen Bewegungsfreiheit lässt. Hierdurch wurde es möglich, den Einfluss von Marktkenntnis, Tauschgeschicklichkeit usw. auf den Preis zu erklären. In der Einkommensverteilung hat sich diese Erkenntnis besonders fruchtbar erwiesen, weil sie es ermöglicht die Einwirkung von Machtverhältnisse auf den Preis zu erfassen.
Trotzdem die Grenznutzenlehre der Preislehre gerade jene Ergänzung gab, welcher die von den Klassikern ausgebaute Lehre vom Preise bedarf, konnte sie doch nicht befriedigen. Abgesehen von ihrer Einseitigkeit, welche besonders bei ihren österreichischen Vertretern hervortritt, ist sie zu stark auf den naturalen Tausch zugeschnitten. Sie muss durch eine entsprechende Theorie des Geldwertes ergänzt werden, denn der Grenznutzen kann nur auf einer konkreten Grundlage, einer Begrenzung der Mittel wirksam werden. Ferner hat aber die Preistheorie der Grenznutzenlehre den Fehler der klassischen Lehre gemein, dass auch sie, wie Cassel und Amonn überzeugend darlegen, höchstens die Entstehung der einzelnen Preise für sich betrachtet erklären kann, darauf aber nicht Rücksicht nimmt, dass die einzelnen Preise nicht für sich stehen, sondern sich gegenseitig bedingen und ein einheitliches Preissystem bilden.
Seite 56
Während die klassische und auch die österreichische Schule den Bestimmungsgrund der Preise suchen, und denselben in den Produktkosten oder in der Schätzung der Grenzpaare zu finden glauben, setzt schon mit Cournot und Dupuit eine Betrachtung des Preisproblems ein, welche das Gewicht auf die Mengenverhältnisse im Tausche legt. Diese mathematisch eingestellte Betrachtungsweise, welche durch Jevons und Walras vertieft wird, erblickt im Preisproblem ein Gleichgewichtsproblem. Der Markt erscheint ihr wie ein Mechanismus, welcher dem Gleichgewichtszustande zustrebt, denn solange sich Angebot und Nachfrage nicht die Waagschale halten, kann der Markt nicht zur Ruhe kommen, da noch immer ein Bestreben zu Zukunftsänderungen vorhanden ist. Das Gleichgewicht des Marktes ist erst erreicht, wenn keiner der Marktparteien einen Grund mehr hat, weitere Tauschakte vorzunehmen.
Vor allem stellt schon Jevons fest, dass dieses Gleichgewicht nur eintreten kann, wenn für dieselbe Ware auf demselben Markt nur ein Preis besteht. Dieses Grundgesetz wird das Gesetz der Indifferenz (law of indifference) genannt, was besagen will, dass die Vertretbarkeit der Einheiten ein und desselben Gutes eine Gleichgültigkeit bezüglich der Erwerbung dieser oder jener Einheit hervorruft.
Seite 57
Den Tauschvorgang fasst die mathematische Schule von jener Seite, welche es als ein Streben nach dem Nutzenmaximum erscheinen lässt. Jede Tauschpartei ist bestrebt, ihren Güterbesitz durch Tausch in einer Weise zu verändern, welche ihr einen Nutzenzuwachs bringt. Der Tausch erscheint demnach als ein Maximumproblem, wobei von Anfang an darauf Gewicht gelegt wird, dass zwischen Gütermenge und Nutzen ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, ein Funktionalzusammenhang in mathematischen Sinne besteht. Der Nutzen, welche eine Einheit des Gutes gewährt, hängt von der Menge ab, in welcher dasselbe zur Verfügung steht. Hier liegt der Anknüpfungspunkt an die Grenznutzentheorie. Schon Cournot zeichnet die Nachfragekurve ale eine mit wachsender Menge sich senkende Kurve und Jevons, Walras, Pareto, Auspitz, Lieben, Marshall und Edgeworth trachten den Verlauf der Nachfrage-, wie auch der Angebotskurve, näher zu beleuchten. Aus der Gestaltung der Nützlichkeitskurven wird die Kurve der Nachfrage, aus der Gestaltung der Produktionskosten jene des Angebotes abgeleitet. In ihrem Schnittpunkte muss der Preis liegen, da dieser Schnittpunkt das Gleichgewicht des Marktes zum Ausdruck bringt. Dieser Gleichgewichtspreis kann nur eintreten, wenn das Angebot der Nachfrage gleich ist, wenn nämlich die ganze zu Markte gebrachte Menge Absatz findet, denn sonst liegt noch immer ein Grund zur Preisänderung vor.
In diesen Grundlagen der mathematischen Preislehre liegen zwei wichtige Gesichtspunkte, welche zur Erkenntnis von zwei bisher unbeachteten Momenten der Preisbildung führten. Erstens lässt die mathematische Betrachtung die einfach kausale Betrachtung der Preisbildung fallen. Die schon von J. St. Mill gestreifte Tatsache, dass nicht nur der Preis von Angebot und Nachfrage, sondern auch diese beiden Größen vom Preise abhängen, erschließt sich ihr, indem sie Angebot und Nachfrage einerseits, den Preis andererseits in ihrer gegenseitigen Einwirkung, also in ihrem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis als Funktionalzusammenhang erkennt. Nicht nur Angebot und Nachfrage haben einen entscheidenden Einfluss auf den Preis, sondern der Preis selbst beeinflusst die Größe von Angebot und Nachfrage.
Die zweite grundlegende Erkenntnis liegt darin, dass die Preisbildung er einzelnen Waren nie isoliert, also unabhängig von der Preisbildung anderer Waren betrachtet werden darf, denn es besteht auch zwischen den Preisen der verschiedenen Waren ein Funktionalzusammenhang. Ändert sich der Preis der Ware, so bleibt dies nicht ohne Einwirkung auf die übrigen Preise. Die mathematische Betrachtung müsste zu dieser Kenntnis kommen, da sie von Anfang an den Tausch als Maximumproblem betrachtend die Tauschakte unter Berücksichtigung der schon im Besitze der Tauschparteien befindlichen Gütermengen erklärte und so von Anfang an darauf eingestellt war, dass die einzelnen Tauschakte nicht voneinander unabhängig, sondern auf Grund der Einheit der Wirtschaft vorgenommen werden.
Seite 58
Auf diesen Grundlagen erheben sich die Preistheorien von Wicksel und Cassel. Ersterer, begeisterter Anhänger der Grenznutzenlehre, betrachtet die Nachfrage als eine Nutzenfunktion all’ jener Güter, welche das Wirtschaftssubjekt zu erwerben sucht. Die Grundlage bildet also eine Gesamtnutzenfunktion, von welcher auch der Grenznutzen der einzelnen Waren abgeleitet wird. Das Gleichgewicht des Marktes tritt ein, wenn sich einerseits die Einheitspreise der Güter wie die Grenznutzen derselben verhalten, andererseits die ein- und ausgetauschten Werte bei den einzelnen bei den einzelnen Marktparteien, wie am ganzen Markte, einander gleich werden. So erhält er ein Gleichgewichtssystem, aus welchem er seine Preisformel ableitet.
Cassel unternimmt es, ohne Berücksichtigung der subjektiven Wertschätzungen den Preis abzuleiten. Das Schwergewicht liegt hierbei einerseits auf dem Zusammenhang aller Preise, andererseits auf der Grundbedingung des marktlichen Gleichgewichtes, dass nämlich alle zu Markte gebrachten Waren durch die Nachfrage aufgenommen werden. Auf diese Grundlagen baut Cassel sein Gleichungssystem, welches zum Ausdruck bringt, dass, falls die Preise der Waren gegeben sind, Angebot und Nachfrage ebenfalls bestimmte Größen sind und umgekehrt, ferner, dass sich der Preis einer Ware infolge des gegenseitigen Zusammenhanges aller Preise aus den übrigen Preisen bestimmen lässt.
So hat die mathematische Schule bisher unbeachtete Beziehungen der Preisbildung aufgedeckt und eine Durchbildung der Preislehre ermöglicht, welche auf den alten Grundlagen kaum zu erreichen war. Mit Leichtigkeit hat sie auch jenes Preisproblem gelöst, welches der klassischen Lehre schier unnahbar war. Es ist der Monopolpreis, welchen schon Cournot mit Erfolg behandelte. Mit dem Kostenprinzipe war hier nichts auszurichten, während der Funktionalzusammenhang von Preis und absetzbarer Menge den Schlüssel zur Lösung bot. Natürlich bleibt die mathematische Preislehre stets in der Sphäre der Abstraktion stecken und kann hauptsächlich jenem Umstande nicht beikommen, dass die Preisbildung kein rein wirtschaftlicher Vorgang ist.
Seite 59
Hat die mathematische Richtung den gegenseitigen Zusammenhang der Preise von ihrem Standpunkte aus erkannt, so mussten langsam auch andere Forscher zur Erkenntnis dieses Zusammenhanges gelangen. Hauptsächlich gilt dies für Zwiedineck-Südenhorst, der durch eine sorgfältige Untersuchung der objektiven und subjektiven Preistheorien tief in das Wesen der Preisbildung eingedrungen ist. Aus einem anderen Wege ist Spann zu dieser Erkenntnis gekommen. Seine Grundeinstellung auf das organische Wesen der Volkswirtschaft musste ihn zu einem direkten Widerwillen gegen jede „atmoistische“ und „individualistische“ Auffassung des Preisproblems führen. Nicht „autarke“, in ihrer Wirtschaftslage unabhängig und aus ihrer Selbstbestimmtheit heraus zufällig sich am Markte treffende Individuen, sind für ihn die Marktparteien, sondern Teile einer aufeinander abgestimmten Ganzheit, Glieder der organischen Volkswirtschaft, treffen sich planmäßig am Markte. Hinter allen ihren Wirtschaftsakten, also auch hinter ihren Tauschakten, steht der planmäßige Aufbau ihrer Wirtschaft, welche sich auch in die Ganzheit der Volkswirtschaft planmäßig einfügt. So hängen auch alle Preise untereinander und mit der Einheit und der Ausgliederung der Volkswirtschaft zusammen. Die Preisbildung ist also etwas Organisches, was mit dem ganzen Ausbaue der Volkswirtschaft zusammenhängt und durch diesen Aufbau wird auch das tauschwirtschaftliche Ineinandergreifen der Marktparteien bestimmt.
Auf einem anderen, trotz ihrer grundverschiedenen Durchführung sich berührenden, Gedanken bauen sich die Preistheorien Liefmanns und Oppenheimers auf. Dieser Gedanke ist eine Ausgleichungstendenz bezüglich gewisser Größen in der Volkswirtschaft. Liefmann baut seine Theorie auf die Ausgleichung der Grenzerwerbserträge, wobei er unter Ertrag eine Spannung zwischen Kosten und Nutzen in Geld ausgedrückt versteht; der Wettbewerb soll diese Ausgleichung bewirken. Oppenheimer wiederum erklärt den Preis auf Grundlage der Ausgleichung der Einkommen, welche ebenfalls auf den Wettbewerb zurückgeführt wird. Doch wir können hier diese interessanten Preistheorien nicht weiter verfolgen, weil wir es uns hier versagen müssen, auf noch so beachtenswerte Einzelversuche einzugehen, wenn sie sich nicht in den allgemeinen Rahmen der Entwicklung hineinfügen.
Da das Schrifttum der Preislehre mit jenem der Wertlehre sich eng berührt und die Werke über den Wert zumeist auch die Preislehre enthalten, so können wir hier auf die bei der Wertlehre aufgezählten Werke hinweisen. Sonst sind die wichtigeren Hinweise im Texte enthalten.
Seite 60