. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 43 bis 45

43 Die Ausgleichung der Profitrate

Viel eingehender als das Wesen des Kapitalprofites hat die Tendenz desselben die Klassiker beschäftigt. Diesbezüglich sind Smith und Ricardo so ziemlich einig. Beide stimmen darin überein, dass der Profit eine sinkende Tendenz zeigen müsse. Smith findet die Ursache in der Zunahme der Kapitalansammlung, während Ricardo auf den von ihm behaupteten allgemeinen Zusammenhang der Einkommensverteilung zurückgreift, wonach die Kosten der Lebenshaltung den Mittelpunkt der Verteilung bilden, weil sie die Lohnhöhe bestimmen. Wachsen die Lebenskosten, und dies muss stattfinden, sobald die Bevölkerung zunimmt, da schlechterer Boden in Bebauung genommen werden muss, dessen Produktionskosten höher sind, so muss die Grundrente steigen, wodurch auch der Nominallohn gehoben wird Es entfällt also vom Preise mehr auf den Arbeitslohn und demnach bleibt weniger für den Profit übrig. Auch Marx vertritt den Satz von der fallenden Profitrate. Seiner Ansicht nach liegt eben hier der Grund dafür, dass sich die kapitalistische Produktion ad absurdum führen müsse, denn die Kapitalisten werden durch das Sinken der Profitrate dazu getrieben, die Produktion immer auf breitere Grundlagen zu stellen, wodurch sie der Tendenz in die Arme arbeiten, dass der Kapitalismus sich selbst aufheben müsse.

Wie Smith und Ricardo trotz der verschiedenen Begründung unter sich und auch mit Marx bezüglich der sinkenden Tendenz der Profitrate einig sind, so sind sie es auch darin, dass es einen einheitlichen Kapitalgewinn, eine Durchschnittsprofitrate gibt. Auch die Begründung ist, trotz der verschiedenen Schattierungen, dieselbe und der klassischen Lehre durchaus geläufig. Die Vereinheitlichung des Kapitalgewinnes wird nämlich auf die Wirkung der Konkurrenz zurückgeführt. Die Voraussetzung, von welcher hierbei ausgegangen wird, ist die Beweglichkeit der Produktionsfaktoren, insbesondere des Kapitals. Zeigt sich nämlich in einem Produktionszweig eine besondere Gewinnmöglichkeit, so wird das Kapital angezogen, und mit der Zeit muss der überdurchschnittliche Gewinn verschwinden.

Obzwar Marxens Begründung für die Ausgleichung der Profitrate dieselbe ist, so wird sie doch anders durchgeführt, indem auf die verschiedene Zusammensetzung des Kapitals, nach konstantem und variablem Kapital in den verschiedenen Produktionszweigen verwiesen wird; wo mehr variables Kapital verwendet wird, müsste, da die Arbeit die wirkliche Quelle des Mehrwertes ist, auch ein größerer Profit erzielt werden; dies wird aber seiner Ansicht nach eben durch die Konkurrenz verhindert, welche nicht danach fragt, mit welcher Zusammensetzung des Kapitals die Ware erzeugt wurde, sondern den Preis nivelliert.

Natürlich darf der Satz von der Ausgleichung der Profitrate nicht so verstanden werden, als ob Extragewinne, oder vorübergehende Unterschiede im Gewinne der Unternehmungen als eine Unmöglichkeit hingestellt werden würden. Sie werden vielmehr sowohl von Smith, als von Ricardo zugegeben. Nur für die Dauer wird ihre Möglichkeit mit der oben genannten Begründung geleugnet.

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Im engsten Zusammenhange mit der Lehre vom freien Wettbewerb wurde der Satz von der Ausgleichung der Profitrate von den Nachfolgern der klassischen Schule übernommen. Doch wird bald erkannt, dass erhebliche Hindernisse dieser Ausgleichung im Wege stehen. Besonders zu erwähnen sind die Untersuchungen von Hermann, der allem, was mit der Bewegung des Kapitals zusammenhängt, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Er beachtet insbesondere die Hindernisse, welche das stehende Kapital der Ausgleichung der Profitrate in den Weg legt. Diese sieht auch Schäffle, doch hält auch er dem Wesen nach an dem Satze von der Ausgleichung des Gewinnes fest. Auch bei neuesten Schriftstellern, so vor allem bei Böhm-Bawerk finden wir immer noch einen ähnlichen Standpunkt.

Der Satz von der Ausgleichung der Profitrate beruht einerseits auf der Überschätzung der Wirkung des Wettbewerbs, andererseits auf einer starken Anlehnung des Begriffes vom Unternehmergewinn an jenen des Kapitalzinses. Beide waren wichtige Bestandteile der klassischen Theorie und so ist ihr Standpunkt in dieser Hinsicht verständlich. Je mehr man jedoch die Hindernisse des Wettbewerbs kennenlernte und den Unternehmergewinn als selbständige Einkommenskategorie erkannte, desto mehr musste sich auch der diesbezügliche Satz der Klassiker abschwächen. Schon bei Pierstorff ist die bemerkbar. Vollends, als man erkannte, welche Rolle das persönliche Moment in der Unternehmung spielt, musste man den Satz, wie es z. B. Diehl klipp und klar tut, fallen lassen.

Im sozialistischen Lager selbst erstand dem Satze von der Ausgleichung der Profitrate vor allem in Tugan-Baranowsky ein entschiedener Gegner. Er bestreitet den Satz von Marx, wonach die sogenannte ursprüngliche, also bezüglich der einzelnen Betriebe entstehende Profitrate wegen der Verschiedenheit der Zusammensetzung des Kapitals eine verschiedene sei. Vielmehr stellt er sich auf den Standpunkt, dass diese Zusammensetzung auf die Höhe des Profits gleichgültig ist und so auch für die gesellschaftliche Ausgleichung kein Raum vorhanden sei, denn nicht die Arbeitskosten, sondern die kapitalistischen Produktionskosten bilden die Grundlage für die Entstehung des Profites. Ebenso wendet er sich gegen das Gesetz von der fallenden Profitrate. Im Gegenteil meint Tugan-Baranowsky, die Tendenz der Profitrate müsste eine steigende sein, da das Mehrprodukt, über welches die Gesellschaft verfügt, sich vermehrt. Allerdings erkennt er auch die Hemmnisse der steigenden Tendenz, welche aber dem Wesen der Sache keinen Abbruch tut.

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44 Der Produktivitätsgedanke und die Zinstheorie

Schon Malthus fasst die Kapitalaufwendung als einen Vorschuss auf, welcher die Produktion ergiebiger gestaltet. So wird der Gedanke näher gerückt, welcher schon bei Smith anklinkt, wenn er den Gewinn als eine Gegenleistung der Dienste des Kapitals auffasst. Say gebührt das Verdienst, den Gedanken von der produktiven Rolle des Kapitals eingehender gewürdigt zu haben. Das Kapital leistet produktive Dienste (services productives) und der Gegenwert derselben ist der Gewinn. Noch eingehender wird diese Rolle von Lauderdale untersucht und der Versuch unternommen, die Produktivität des Kapitals nachzuweisen. Deshalb lässt Böhm-Bawerk nicht unbegründet die motivierte Produktivitätstheorie des Zinses mit Lauderdale beginnen, während erdie frühere Produktivitätstheorie als naive Produktivitätstheorie bezeichnet.

Lauderdale knüpft an den Begriff des Kapitals als ersparte Arbeit an. Die Ursache des Gewinns erblickt er darin, dass das Kapital entweder Teil der sonst von der Hand der Menschen zu verrichtenden Arbeit leistet oder eine Arbeitsleistung vollzieht, der Vollzug die Kräfte des Menschen überschreitet. Er sucht im einzelnen darzulegen, dass das Kapital, ob es zum Bau oder zur Anschaffung von Maschinen dient oder als Vorschuss für Rohmaterialien, für Lohnkosten, für Intensivierung der Landwirtschaft, oder zur Aufrechterhaltung der Zirkulation verwendet wird, stets Arbeit erspart oder solche Arbeit leistet, welche sonst überhaupt nicht geleistet werden könnte und sieht die Quelle des Profites in der Vergeltung dieser Arbeit. Als dann später die Arbeitswerttheorie mehr in den Hintergrund trat, wurde der Produktivitätsgedanke als Quelle des Zinses in einer anderen Art durchgeführt. Thünen und Walker haben diese Arbeit als erste vollbracht.

Schon Say deutete es an, dass das Kapital als Preis der Kapitalnutzung in die Warenpreise eintritt und hierdurch die Kapitalnutzung selbst einen Preis gewinnen. Hierbei fällt das Gewicht auf die Tatsache, das Kapital sei ein Gut, welches dauernde Nutzung zulässt und so eigentlich diese Nutzungen die produktiven Dienste leisten und das Entgelt fordern. Die herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst von Hermann, und Knies war bestrebt, den Gedanke weiter zu vertiefen. Auch Mengers Gedankengänge knüpfen hier an. Böhm-Bawerk nannte diese Auffassung die Nutzungstheorie. Jedenfalls ist sie mit der Produktivitätstheorie nahe verwandt und mehr als eine Vertiefung derselben aufzufassen.

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45 Enthaltsamkeit und Zeitmoment in der Zinstheorie

Die Produktivitätstheorie des Gewinnes suchte, wie wir sahen, das Kapital in seiner produktiven Eigenschaft der Arbeit als Kostenelement zu koordinieren. Wie schon in der Werttheorie berührt wurde, fand Senior einen anderen Weg, das Kapital als Kostenelement einzuführen. Die Grundlage hierfür findet er im Opfermoment, welches mit der Produktion verbunden ist. Die Produktion erfordert zweierlei Opfer: einerseits das Arbeitsopfer, andererseits die Enthaltsamkeit, welche im Genussaufschube liegt, indem wir dem Genusse entsagen, um für die Vervollständigung der Produktion eine Grundlage zu schaffen. Das Kapital ist die Frucht der Abstinenz, der Enthaltsamkeit. Der Kapitalist könnte die ihm zur Verfügung stehende Wirtschaftskraft für Komsumtivzwecke verwenden, tut dies aber nicht, wenn er eine entsprechende Vergütung für seine Enthaltsamkeit in Aussicht hat. Diese Vergütung ist der Zins, der eben deshalb neben den Arbeitskosten im Preise der Güter enthalten sein muss.

Dieser Grundgedanke der Abstinenzrheorie, welche übrigends durch Lassalle mit dem Hinweis auf die üppige Lebensweise der Kapitalisten, welche wahrlich wenig Enthaltsamkeit merken lässt, in schärfster und bissigster Weise kritisiert wurde, wurde später weiter gesponnen und fand besinders in der amerikanischen Literatur Eingang. Mac Vane vertritt diesen Gedanken in einer etwas abgeänderten Form, indem er die Enthaltsamkeit „waiting“, Wartezeit nennt. Auch die Zinstheorie von Carver und Cassel stützen sich auf diese Moment.

Ist aber die Frage nach der Ursache des Kapitalzinses mit Hinweis auf ein neues Kostenelement auch tatsächlich gelöst? Wird im Zins auch wirklich nichts anderes vergütet, als die Kosten der Kapitalverwendung? Diese Frage muss sowohl auf der Grundlage der klassischen Theorie als auch dann auftauchen, wenn wir uns auf die Basis der neuen Werttheorie stellen. Sie wurde von letzterer aufgeworfen, da die subjektive Werttheorie schon seit Menger großes Gewicht auf die Wertbildung der Produktivgüter legt. Der Wert der Produktivgüter wird nach Auffassung dieser Theorie, wie wir wissen, durch jene Konsumgüter bestimmt, welche aus ihnen hergestellt werden können, und zwar im Wege der Zurechnung des produktiven Beitrages der einzelnen Produktivfaktoren. Das Kapital erhält also ebenso wir die Arbeit und die Naturkräfte seinen produktiven Beitrag zugerechnet. Hiermit findet die Rückerstattung der aufgewendeten Kapitalsumme ihre Erklärung, für die Entstehung des Zinses aber ist in dieser Erklärung keine Raum. Der Zins ist ein Plus, ein Überschuss, welcher über den Kapitalwert gewonnen wird. Woher kommt dieses Plus? Diese Frage hat sich schon Menger vorgelegt und schon er deutet die Lösung an, indem er darauf hinweist, dass die Produktion Zeit erfordert, und dass deshalb der Wert der Produktivgüter doch nicht ganz gleich jenem ihrer Produkte sein kann. Nach der Ansicht Mengers ist für den Wert, welchen komplementäre, d. h. sich ergänzende und zusammen zur Produktion verwendete Quantitäten von Gütern höherer Ordnung für uns in der Gegenwart haben, allerdings der voraussichtliche Wert des entsprechenden Produktes maßgebend, aber doch nur unter der Voraussetzung, dass in diesem letzteren auch der Wert der Unternehmertätigkeit mit inbegriffen ist.

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Den schon von Rae und Jevons, dann von Menger berührten Gedanken, die Entstehung des Kapitalzinses aus dem Zeitmomente, also daraus zu erklären, dass die Produktion Zeit erfordert, ist dem genialen Werke Böhm-Bawerks gelungen. Sein grundlegender Satz lautet: Gegenwartsgüter, also Produkte, welche für die Konsumtion bereit sind, werden überhaupt höher geschätzt als Zukunftsgüter, also Kapitalgüter. Für diese Tatsache führt Böhm-Bawerk eine Reihe von Gründen ins Treffen; so die begrenzte Lebensdauer des Menschen, die auf die Gegenwart und auf den Genuss eingestellte Psyche des Menschen und die größere Ergiebigkeit der Produktionsumwege. (Dies letzte Argument fand von vielen Autoren eine starke Zurückweisung.) Der Zins ist jener Wertzuwachs, welcher eben aus der Verschiedenheit der Bewertung gegenwärtiger und zukünftiger Güter entspringt oder kurz, er ist ein Agio der Gegenwartsgüter.

In Europa wurde die Agiotheorie Böhm-Bawerks - mit einigen Ausnahmen, so z. B. Wicksell, dann einige Italiener - ziemlich kühl aufgenommen. Mit desto lebhaften Interesse wandte sich die amerikanische Literatur ihr zu. Zwar lehnte sie Clark ab, aber Irving Fisher und Taussig, wor allem Fetter stimmen dem Gedanken des Wertagios der Gegenwartsgüter zu. Auch in Italien wurde, mit wenigen Ausnahmen (so z. B. Pantaleonie), die Agiotheorie des Zinses angenommen. Ricca Salerno und Graziani waren bestrebt, dieselbe Wirklichkeit dadurch näher zu bringen, dass sie die Höherschätzung der Gegenwartsgüter nicht in absoluter, sondern mehr in relativer Weise zu deuten suchten. Sie wiesen darauf hin, dass der Kapitalist, da er mit Gegenwartsgütern versehen ist, die Zukunftsgüter in geringeren Maße unterschätzt als der Unternehmer, der zur Produktion Gegenwartsgüter benötigt. So ist nach ihrer Auffassung der verschiedene Grad der Unterschätzung der Zukunftsgüter die hauptsächliche Triebkraft für den Tausch zwischen Gegenwarts- und Zukunftsgütern. Fetter hingegen überbietet Böhm-Bawerk in der Herausarbeitung des reinen Zeitwertes.

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Wie aus unseren Ausführung hervorgeht, weichen die auf das Moment der Enthaltsamkeit und die auf das Zeitmoment aufgebauten Zinstheorien weit voneinander ab. Und doch kann eine gewisse Verwandtschaft dieser Erklärungsversuche nicht rundweg geleugnet werden. Wer die Verbindungspunkte der verschiedenen Theorien sucht und eben deshalb überall den Kern der einzelnen, in ihrem äußeren Aufbau noch so verschiedenen Theorien zu erfassen strebt, wird diese innere Verwandtschaft nicht ohne weiteres übergehen können. In der Enthaltsamkeit als Grundlage des Zinses steht gewiss schon ein Zeitmoment, nur ist es noch - im Sinne jener Denker, die an die Arbeitsmühe als Kostenelement ihre Blicke heften, - vom Opferstandpunkte aus erfasst. Bei Menger und Böhm-Bawerk wird es hingegen von der Nutzenseite betrachtet und zeigt sich schließlich als Grundlage der verschiedenen Bewertung von bereits genussreifen und noch nicht diesem Stadium angehörenden Gütern. Die Verwandtschaft vom Enthaltungsopfer und Zeitmoment kommt in der Zinstheorie Carver’s stark zum Ausdruck, indem er beide Momente bei der Erklärung der Zinserscheinung miteinander verbunden verwendet.