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Allerdings war es kein leichtes, dieser Kritik auch eine entsprechende positive Leistung zur Seite stellen. Doch keimte wiederum in der deutschen Wissenschaft, und zwar in den Untersuchungen von Thünen, ein Gedanke, welcher auch in der Lohntheorie zu einer großen Zukunft berufen war. Wie wir aus den früheren Kapiteln bereits wissen, ist es der Gedanke der Grenzproduktivität, welcher ihn als Hauptfaktor im Verteilungsprozess vorschwebt.
Um überhaupt die Lohntheorie aus ihrem Geleise, auf welchem sie sich eigentlich schon seit dem Physiokratismus bewegte, herauszubringen, musste sie zunächst vom Banne der Malthusschen Bevölkerungslehre befreit werden. Dem arbeiteten zunächst Carey und Bastiat, aber in einer wenig glücklichen Form vor. Thünen ist es zuerst gelungen, sich von dieser magischen Kraft erfolgreich loszumachen und seine Blicke auf andere Gesichtspunkte der Lohngestaltung zu lenken.
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Der Gesichtspunkt Thünens wird bei der Untersuchung der Lohnfrage dadurch bestimmt, dass er jene Lösung, welche Ricardo den Lohnproblemen gibt, für empörend hält, und durch die Behauptung, der Lohn könne nicht ständig über das Existenzminimum steigen, zur Untersuchung jener Frage angeregt wird, ob denn ein Zunehmen der Produktivität der Arbeit auf das Los der Arbeiter ganz ohne Wirkung sei. Auf Grund deduktiver Erwägungen verneint dies Thünen. Bei voller Anerkennung des Einflusses der Unterhaltskosten, der Arbeiter auf den Lohn sucht er nachzuweisen, dass auch die Produktivität der Arbeit, also das hervorgebrachte Jahresprodukt einen Einfluss auf den Lohn haben müsse.
Um jenen Komplikationen bei der Frage zu entgehen, welche die Vielseitigkeit der modernen Wirtschaft enthält, wählt er für seine Untersuchung einen isolierten Staat im Tropengebiete, in dessen Mitte sich eine einzige Stadt befindet, welche den Markt für alle im Staate erzeugten Produkte bildet. Die Verkehrswege zu dieser Stadt denkt sich Thünen alle gleichartig, so, dass die Entfernung allein für die Frachtkosten entscheidend ist, was seiner Veraussetzung gemäß bewirkt, dass in einer bestimmten Entfernung von der Stadt keine Bodenrente mehr existiert. Auf diese Grenze der kultivierten Ebene, wo es noch genügend unbesetztes Land zur Urbarmachung gibt, verlegt er die Untersuchung, da er ja hier nicht mit der das Problem der Verteilung komplizierenden Bodenrente rechnen muss und sonach annehmen kann, dass sich Kapital und Arbeit allein in den Ertrag der Produktion teilen können. An dieser Grenze der Produktion, meinte er, liegt es nun in der freien Wahl der Arbeiter, ob sie auch ferner für Lohn arbeiten oder aber mit Hilfe der angesammelten Ersparnisse ein Stück Land urbar machen wollen, um dann den Boden selbst zu bewirtschaften. Er denkt sich die Arbeiter, welche ein Stück Land urbar machen wollen, zu Gruppen vereinigt, um sich in zwei Abteilungen zu teilen, wovon die eine die Arbeit der Urbarmachung der Felder übernehmen kann, die andere aber weiter für Lohn auf anderen Gütern arbeiten muss, um die Subsistenzmittel für die erste Gruppe herbeizuschaffen. Ist nun die Arbeit vollbracht und das Land urbar gemacht, so benötigt jene Gruppe von Arbeitern, welche dieses Land besetzt, selbst wieder Arbeitskräfte, um das nun urbar gemachte Land bewirtschaften zu können. Solche Arbeiter werden sich aber bloß finden, wenn ihnen ein Lohn gezahlt wird, welcher jenem Überschusse gleich ist, der auf Zinsen gelegt gleich der Rente der kapitalerzeugenden Arbeiter ist, denn würden sie bloß den auf den übrigen Gütern üblichen Lohn erhalten, so würden die Arbeiter, falls dieser unter jenem Produktionsüberschusse liegt, vorziehen, selbst zur Urbarmachung von Feldern überzugehen und sich eine eigene Siedlungsstelle zu schaffen. Diese Möglichkeit wird es also mit sich bringen, dass sich der Arbeitslohn für alle Arbeiter im isolierten Staate auf diese Höhe heben muss. Durch mathematische Deduktion gelangt Thünen dann zu dem Ergebnis, dass der natürliche Arbeitslohn gleich [Wurzel aus (a × p)] sei muss, wobei a das Existenzminimum der Arbeiter, p hingegen ihr Arbeitsprodukt darstellt. Obzwar diese Voraussetzungen augenscheinlich auf höherer Kulturstufe der Wirklichkeit nicht entsprechen, so war Thünen doch der Meinung, dass sich in seiner Formel bezeichnete Tendenz auch unter den veränderten Voraussetzungen zu verwirklichen trachtet.
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Dieser Gedanke, der Lohn müsse in einem gewissen Zusammenhange mit der Produktivität der Arbeit stehen, musste sich früher oder später Bahn brechen, da es ja doch auf der Hand liegt, dass die Entlohnung des Arbeiters vom Ergebnis der Produktion nicht unabhängig sein kann und es doch nicht geleugnet werden kann, dass dieses Ergebnis auch von der Produktivität der Arbeit abhängt. Wenn sogar Lassalle zugegeben hat, das Existenzminimum können sich mit zunehmender Kultur heben, so liegt hierin der beste Beweis, dass sogar Anhänger des ehernen Lohngesetzes sich dieser Erkenntnis nicht ganz verschließen können, denn die Hebung es Existenzminimums mit zunehmender Kultur kann ja bloß auf Rechnung der zunehmenden Produktivität gesetzt werden.
Deshalb musste sich schon die „standard of life“-Theorie mit dem Produktivitätsprinzipe berühren. Der von Thünen auf die breite Basis des ganzen Verteilungsprozesses gestützte Gedanke, die Produktivität der Arbeite beeinflusse den Arbeitslohn, wurde unter dem Einflusse von Hearn und Condillac in England schon von Jevons vertreten. In größerer Ausdehnung eroberte jedoch der Gedanke der Abhängigkeit der Löhne von der Produktivität der Arbeit die Geister in Amerika, im emporstrebenden, kapitalarmen Lande, wo die Behauptung, der Lohn werde aus dem Kapital bezahlt und die Zunahme der Zahl der Arbeiter müsse den Lohn drücken, mit den Verhältnissen so wenig übereinstimmte, und wo die europäischen Einwanderer damals gern gesehene Gäste waren. Francis Walker ist hier der Vater der Produktivitätstheorie des Lohnes, welche er aber in seltsamer Weise durchführt. Grundrente und Profit hält er für Überschüsse, welche sich nach Abzug der Produktionskosten ergeben. Diese Kosten zerfallen in Zins und Arbeitslohn, von welchen jedoch ersterer durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, so dass der Rest, welcher von den Produktionskosten verbleibt und mit wachsender Produktivität zunimmt, den Arbeiter verbleibt. Seine Produktivitätstheorie des Lohnes ist also eine Residualtheorie. Ähnliche Ansichten wie Walker vertraten auch einige Franzosen, so Chevalier, Leroy-Beaulieu und Levasseur. In dieser Form konnte sich aber der Produktivitätsgedanke in der Theorie nicht verallgemeinern, da, um nichts anderes hervorzuheben, der Arbeitslohn ein vertragsmäßiges und von vornherein festgestelltes Einkommen ist und sonach dem Residualprinzip am wenigsten entspricht.
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Anders gestaltete sich die Aufnahme des Produktivitätsgedankens durch die Grenznutzentheorie. In ihrer Lehre von der Zurechnung des produktiven Beitrags und in der Anwendung der Werttheorie auf die Produktionsgüter besitzt ja diese zwei Sätze, welche sie von vornherein auf die Berücksichtigung des Produktivitätsmoments führen. Der Wert der Arbeit muss vom Standpunkte dieser Theorie durch ihren Ertrag, und zwar durch ihren produktiven Grenzertrag bestimmt werden, und es kann ich nur darum handeln, ob dieser positive Grenzbeitrag den Arbeitern auch tatsächlich ausbezahlt wird. Die Grenznutzenlehre löst dieses Problem mit dem Hinweis darauf, dass die Arbeit ebenfalls in beschränkter Menge vorhanden ist und deshalb der Produktion bloß in der erforderlichen Menge zur Verfügung steht, wenn sie ihrem Werte gemäß bezahlt wird. Die große Verbreitung der Grenznutzenlehre hat dann dieser Produtktivitätstheorie der Arbeit eine fortschreitende Bedeutung gesichert, zumal in Amerika, wo ja die neue Wertlehre außer Österreich zuerst allgemeinen Anklang fand. Clark ist es, der von den Amerikanern zu der Verbreitung der Produktivitätstheorie auch in ihrer Anwendung auf das Gebiet des Arbeitslohnes am meisten beitrug. Auf seine Beweisführung, welche wir in der Zurechnungslehre behandelt haben, müssen wir hier nicht eingehen.
Wenn auch nicht in derselben Form und nicht mir derselben Ausschließlichkeit, so wird doch die Produktivitätstheorie von beinahe allen amerikanischen Schriftstellern angenommen. Sie wird bei ihnen durch dieses oder jenes Moment ergänzt, aber der Grundgedanke der Lohntheorie dreht sich doch stets um sie. So kombiniert sie z. B. Fetter, der, wie wir ja wissen, ein eifriger Verfechter der Rolle des Zeitmoments ist, mit diesem letzteren und lehrt, dass der Arbeiter seinen Produktivgrenzbeitrag erhält, doch den Gegenwartswert und nicht den Zukunftswert dieses Beitrages, wodurch also das Diskontierungsmoment auch in der Lohntheorie Berücksichtigung findet. Andere, wie z. B. Carver, kombinieren diesen Gesichtspunkt mit dem Momente des Arbeitsleides, indem darauf hingewiesen wird, dass einerseits der produktive Grenzbeitrag den Lohn bestimme, andererseits hierzu das Grenzleid, jene Anstrengung als zweiter Bestimmungsgrund trete, welche der letzte Arbeiter machen muss, um diesen Grenzertrag zu erzielen. Seligmann wiederum vertritt eine gewisse Mischung von Produktivitäts- und standard of life-Theorie. Er betrachtet die Kosten der Lebenshaltung als Grenzkosten der Arbeit und räumt ihnen in dieser Form seiner Werttheorie gemäß einen Einfluss auf den Lohn ein, doch betont er, dass dieselben auch selbst von der Grenzproduktivität abhängen, welche sonst das eigentlich entscheidende Moment in seiner Lohntheorie bleibt. Mehr in seiner ursprünglichen Fassung wird der Gedanke der Grenzproduktivität in der Lohntheorie Wicksells angewendet.
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Sicherlich haben die oben behandelten Theorien wichtige Zusammenhänge der Lohnbildung aufgedeckt. Doch jede derselben ist ziemlich einseitig. Die Ricardosche Lohntheorie wird ganz durch den Kostenstandpunkt sowie durch das Bevölkerungsgesetz beherrscht; die Lohnfondstheorie stützt sich ganz auf das Verhältnis von der Kapitalausrüstung der Volkswirtschaft zu der Bevölkerungszahl und die Produktivitätstheorie bringt den Lohn in unmittelbare Verbindung mit der Wertbildung. Es ist nicht zu verwundern, wenn die historische Schule ihrem Geiste nach eine realistische Erklärung des Lohnes anstrebend, eine Vielheit von lohnbestimmenden Faktoren gelten ließ und folgerte, dass von einem einheitlichen Lohngesetz nicht die Rede sein kann.
Und doch zeigt sich ein Weg, welcher unter Berücksichtigung der Vielheit der Lohnbestimmungsgründe eine einheitliche Erfassung des Lohnproblems ermöglicht. Man braucht nur zu der Ansicht Ricardos zurückkehren, dass auch die Arbeit einen Preis hat und demnach der Lohn ein Preis sei.
Freilich, dieser Erklärung legt die subjektive Werttheorie ein großes Hinderniss in den Weg, indem sie den Preis aus den Wertschätzungen der Marktparteien ableitet, wobei der Arbeiter scheinbar keine eigene Wertschätzung für seine Arbeit hat. Nur durch diese Ansicht ist die große Verbreitung der Produktivitätstheorie zu erklären. Es ist jedoch unrichtig anzunehmen, der Arbeiter würde seiner Arbeit keinen Wert beilegen. Besitzt die Arbeit einen Ertragswert für den die Arbeit kaufenden Unternehmer, so hat sie, - wenn auch zumeist keinen Gebrauchswert - doch einen Tauschwert für den Arbeiter. So steht auch auf Grund der subjektiven Werttheorie dem nichts im Wege, den Lohn als Preis der Arbeit zu betrachten. Berryn-Stuart macht auch diesen Versuch, wenn es ihm auch nicht gelungen ist, ihn in jeder Beziehung befriedigend durchzuführen.
Noch leichter ist die Einordnung des Lohnes unter das Preisgesetz für jene, die nicht auf Grund der subjektiven Preislehre stehen. Cassel und Amonn suchen auch die Lösung in dieser Richtung und ähnliches tut Cornélissen.
Sehr verdienstvoll sind in dieser Beziehung die Arbeiten von Schüller, welche eine nähere Analyse der Nachfrage und des Angebots auf Grund der subjektiven Werttheorie versuchen. Dass man hierbei auch andere Faktoren als die Wertschätzung der Marktparteien, besonders auch die von Tugan-Baranowsky so hoch eingeschätzten Machtfaktoren des kollektiven Tausches berücksichtigen kann, haben Schüller und Cornélissen gleicherweise bewiesen.
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Über den Arbeitslohn vergleiche Zwiedineck-Südenhorst: Lohnpolitik und Lohntheorie. Leipzig 1900. - Diehl: Erläuterungen zu D. Ricardos Grundgesetzen. II. Teil. 2. Auflage Leipzig 1905. - A. Salz: Beiträge zur Geschichte und Kritik der Lohnfondstheorie. Stuttgart 1905. - Schüller: Die Nachfrage nach Arbeitskräften und die Nachfrage am Arbeitsmarkt. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Band 33. - Derselbe: Die Ansprüche der Arbeiter. Daselbst Band 39. - Tugan-Baranowksy: Soziale Theorie der Verteilung. 1913. - Cornélissen: Der Arbeitslohn. Halberstadt 1927. - Auch Oppenheimer: Zur Lohntheorie der Gewerkvereine. Berlin 1917. - Taussig: Wages and Capital. London 1896. - Zur Dogmengeschichte: Bernhard: Der Arbeitslohn. In der Festschrift für Schmoller. Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft. I. Teil. Leipzig 1908.
Die bisher erörterten Probleme der Volkswirtschaft sind Probleme des abstrakten Denkens. Wert, Preis und Einkommensverteilung schneiden wohl tief in das praktische Leben hinein, sind aber nichts destoweniger nur durch gewisse Abstraktion zu begreifen. Anders steht die Sache beim Geld. Hier liegt ein Gegenstand, der lange Jahrhunderte hindurch in der Münze verkörpert war, der Untersuchung zugrunde. Das Problem ist sozusagen in der Münze als in einer sachlichen Erscheinung verankert. Hierin liegt der Grund dafür, dass das Geldproblem eines der ältesten Probleme der Volkswirtschaftslehre ist, und dass es schon lange bevor die Volkswirtschaftslehre zur wirklichen Wissenschaft herangereift ist, das Interesse auf sich zog.
Allerdings war die Fassung es Problems lange Zeit hindurch keine rein Theoretische, und es blieb das Geldproblem dies in die neueste Zeit hinein stets mehr oder weniger mit praktischen Fragen vermengt. Die Einrichtung des Geldwesens und die tatsachenreiche Entwicklung der Geldverfassung sorgte stets dafür den Denkern neue Fragen zu stellen. Anfangs waren es die Münzverschlechterungen, welche dazu zwangen, über das Geld nachzudenken. Nach der Entdeckung Amerikas kam die große Preisrevolution, welche wiederum das Interesse auf das Geld lenken musste. Als sie Bildung der größeren Nationalwirtschaften vor sich ging, tauchte die Frage auf, ob denn der Geldverkehr einen Einfluss auf den Nationalreichtum besitze. Und als später mit der Entwicklung des Verkehrs die einzelnen Nationen an die Regelung ihres Geldwesens schritten, so ergoss sich ein wahrer Strom von Fragen bezüglich des Geldwesens. Die Schwierigkeiten bei der Verwendung zweier Metalle zur Abwicklung des Geldverkehrs, dann die jäh einsetzende Entwertung des Silbers, sowie die zeitweilige Geldentwertung, welche durch die maßlose Herausgabe von Papiergeld verursacht wurde, mussten viel zu denken geben.
Natürlich kann es sich hier nicht darum handeln, die Entwicklung des ganzen Komplexes dieser Fragen darzulegen. Nur ein Blick in die Entwicklung des rein theoretischen Inhaltes dieser Fragen kann versucht werden. Hierdurch scheidet das sogenannte modale Geldproblem, d. h. das eigentlich Währungsproblem aus unserer Darstellung. Dem eigentlichen Geldproblem tut dies keinen Abbruch. Alle praktischen Fragen des Geldwesens sind in den rein theoretischen Fragen des Geldproblems verankert.
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Das eigentliche Geldproblem, also der Kern der Geldtheorie wird neuestens in zwei Probleme geteilt, welche sich allerdings nahe berühren. Erstens spricht man vom qualitativ-statischen Geldproblem; hierunter versteht man die Frage nach dem Wesen des Geldes. Diese Problem ist qualitativ, weil es die Qualität, die Beschaffenheit des Geldes, als den Geldbegriff sucht, und es ist statisch, weil es von den wirtschaftlichen Veränderungen absieht und das sich im Gelde stets Gleichbleibende herauszuschälen trachtet. Demgegenüber beschäftigt sich der zweite Teil des Geldproblems mit den Veränderungen des Geldwertes, also mit jenen Veränderungen, welche die dynamischen Kräfte der Wirtschaft in der quantitativen Geltung des Geldes hervorrufen. Dieses Problem ist das quantitativ-dynamische Geldproblem.